Gleichgewicht zwischen Software-Qualität und Ent​wicklungs​geschwin​dig​keit Technische Schulden – der Rattenschwanz der KI

Ein Gastbeitrag von Christoph Volkmer * 4 min Lesedauer

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Im Softwarebereich soll KI den Entwicklungs- und Innovationsprozesse beschleunigen und Development-Teams von der Mühe befreien, ganz bei null anzufangen. Doch eine schnelle Umsetzung von KI könnte auch die technischen Schulden der Unternehmen zusätzlich verschlimmern.

Technische Schulden häufen sich beinahe zwangsläufig an, Ki kann diesen Prozess leider deutlich beschleunigen.
Technische Schulden häufen sich beinahe zwangsläufig an, Ki kann diesen Prozess leider deutlich beschleunigen.

Um ihre Produktivität zu steigern und Projekte zu beschleunigen, setzen Entwicklerteams immer mehr KI-Tools ein – von Large Language Models (LLMs), die Codeschnipsel generieren, bis hin zu hochkomplexen KI-gestützten Low-Code-Lösungen, die den gesamten Softwareentwicklungszyklus abstrahieren.

Mithilfe der KI-Tools gehen die Entwickler und Entwicklerinnen gegen Programmierblockaden vor, können schneller starten und machen in kürzerer Zeit größere Fortschritte. Auch Hindernisse, die Projekte bisher zum Stillstand gebracht haben, können sie durch die Hilfe von KI-Assistenten einfacher überwinden.

Ein Blick hinter den Hype

So verlockend die Versprechungen der KI auch sein mögen, die Technologie bringt auch neue Herausforderungen mit sich. Die erste betrifft das Vertrauen. Wenn Entwicklerteams KI zur Unterstützung der herkömmlichen Anwendungsentwicklung einsetzen, müssen sie gewährleisten, dass der generierte Code sicher ist und die Leistung stimmt.

Kleine Mengen an Code lassen sich dabei leicht prüfen, doch Generative KI ist (noch) eine eher unberechenbare Lösung – ihre Antworten variieren je nach Kontext und Anfrage, was ein gewisses Maß an Unvorhersehbarkeit mit sich bringt. Dementsprechend erfordern die Ergebnisse einer Prüfung durch das Entwicklerteam, die die Vorschläge bewerten und an den Kontext anpassen.

Darüber hinaus ist die Softwareentwicklung von Natur aus ein iterativer Prozess – was heute geliefert wird, muss morgen geändert werden. Selbst wenn ein Unternehmen ein gewisses Maß an Unsicherheit akzeptiert und KI kontinuierlich Code produzieren lässt, wird es für das Entwicklungsteam immer schwieriger, den Code in seiner Gesamtheit zu verstehen.

Am Ende sieht sich das Team mit einem Code konfrontiert, der nicht mehr handhabbar ist. Unternehmen müssen schließlich in der Lage sein, den von der KI erzeugten Code zu überblicken und zu modifizieren – was zu dem unvermeidlichen Problem der technischen Schulden führt.

Technische Schulden und die schnelle, statt qualitativ hochwertige Lösung

Seit Ward Cunningham 1992 den Begriff „technical debt“ geprägt hat, wird er manchmal als Entschuldigung für die Veröffentlichung von schnellem und schlechtem Code im Interesse der Development-Geschwindigkeit hergenommen. Denn die Entscheidung, eine schnelle, statt qualitativ hochwertige Lösung zu nehmen, führt eben oftmals zu technischen Schulden, die Unternehmen mit Zeit und Geld zurückzahlen müssen.

Technische Schulden sind die Nachbesserungen, die aufgrund von fehlerhaftem Code geleistet werden müssen. Wenn Applikationen für kurzfristige Erfolge entwickelt werden, fließt am Ende ein großer Teil dieser Ressourcen, in die Instandhaltung und das Umschreiben von defektem Code, statt in die Entwicklung neuer Ideen.

Grundsätzlich spielen technische Schulden eine wichtige Rolle, wenn es darum geht,Höchstleistungen zu erreichen. Die Voraussetzung ist, dass sie getilgt werden, indem alles auf den neuesten Stand gebracht wird, bevor es zu einer Kaskade von Problemen kommt. Wie in der Finanzwelt, aus der diese Metapher stammt, führt das Ignorieren langfristiger Schulden letztlich zu überlasteter, bankrotter Unternehmenssoftware.

Wenn schon zu Beginn eines Entwicklungszyklus ein großer Rückstand an technischen Schulden aufgeholt werden muss, kann dies eine schnelle Reaktion auf neue Chancen und Herausforderungen behindern. So bergen komplexe technische Schulden die Gefahr, die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit eines Unternehmens einzuschränken.

Wenn KI ausbremst

Qualität und Leistung von Software sind entscheidend für eine gute Benutzererfahrung – und Geschwindigkeit ist wichtig, um Geschäftsziele rechtzeitig zu erreichen. Der Umgang mit technischen Schulden erfordert ein Gleichgewicht zwischen Qualität und Geschwindigkeit. Auch wenn Unternehmen mit schnellen Workarounds durch KI besser Fristen einhalten können, sollten sie sich immer der Kosten bewusst sein.

Technische Schulden mögen harmlos erscheinen – bleiben sie jedoch unkontrolliert, sind Geschwindigkeit und Agilität irgendwann keine Option mehr. Durch KI wird dabei nicht nur der Entwicklungsprozess beschleunigt, auch mit den Themen Sicherheit, Governance, Codequalität und dem Management des gesamten Anwendungslebenszyklus müssen sich Entwicklungsteams schneller und eben mit mehr Zeitdruck auseinandersetzen. Denn die größten Kosten einer Anwendung entstehen nicht bei der Erstellung, sondern bei der Wartung, Anpassung und Sicherstellung der Langlebigkeit.

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Wenn generative KI dann ausschließlich dazu verwendet wird, riesige Mengen an Code zu erstellen, ohne zu berücksichtigen, wohin dieser geht oder wer für seine Wartung verantwortlich ist, könnten sich die technischen Schulden eines Unternehmens noch weiter verschlimmern. Statt Innovationen zu beschleunigen, könnte KI sie damit langfristig sogar ausbremsen.

Die richtige Strategie

Für CIOs mag es verlockend sein, ihre Teams in der Nutzung von generativer KI zu schulen, um schneller Code zu produzieren. Es könnte jedoch viel effizienter sein, in Technologien zu investieren, die ihnen helfen, KI so zu nutzen, dass sie sie verstehen, überblicken und ihr vertrauen können.

KI-basierte Low-Code-Plattformen, die Änderungen an Anwendungen in Echtzeit visuell darstellen und damit das Testen, Staging und Monitoring wesentlich effizienter gestalten, werden hier von großer Bedeutung sein. Unternehmen sollten KI auf verantwortungsvolle und nachhaltige Weise nutzen – und das bedeutet, dass sie selektiv und strategisch entscheiden müssen, wo sie die generative KI zuerst einsetzen.

* Über den Autor
Christoph Volkmer ist Regional Vice President für EMEA Central bei OutSystems.

Bildquelle: OutSystems

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