Wie digital selbstbestimmt ist Deutschland? Erschreckende Abhängigkeit von Digitalimporten

Von Elke Witmer-Goßner 5 min Lesedauer

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Ein digital souveränes Land besitzt eigene substanzielle Fähigkeiten in digitalen Schlüsseltechnologien und ist nicht einseitig von bestimmten Bezugsquellen im Ausland abhängig. Und es kann selbst entscheiden, aus welchen Drittländern es digitale Technologien bezieht.

Die Abhängigkeit Deutschlands von Digitalimporten wächst, die angestrebte digitale Souveränität sowie die Wettbewerbsfähigkeit sind gefährdet.
Die Abhängigkeit Deutschlands von Digitalimporten wächst, die angestrebte digitale Souveränität sowie die Wettbewerbsfähigkeit sind gefährdet.
(Bild: denizbayram - stock.adobe.com)

Ist Deutschland nach dieser Definition digital souverän? Wie groß ist unsere Abhängigkeit von „fremden“ Technologien? Diesen Fragen ging die jüngste Umfrage des Bitkom nach. Das erschreckende Ergebnis: 94 Prozent der Unternehmen in Deutschland sind von Digitalimporten abhängig. Dazu zählen Hardware, Halbleiter, Software oder Programmier-Services. Das meiste davon kommt aus China und den USA, aber auch aus anderen EU-Staaten.

Nur kurze Überlebensfähigkeit

Insgesamt beziehen 95 Prozent der Unternehmen in Deutschland digitale Technologien und Leistungen aus dem Ausland. Dem stehen „nur“ 31 Prozent exportierte entsprechende Güter und Services gegenüber. Das sind die Ergebnisse einer aktuellen repräsentativen Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom unter mehr als 600 Unternehmen aller Branchen in Deutschland ab 20 Mitarbeitenden.

Könnten die Importe plötzlich nicht mehr aus dem Ausland bezogen werden, könnten sie nicht lange überleben, glaubt eine große Mehrheit der Unternehmen. Diese Befürchtungen sind nicht unbegründet. Schließlich hat sich schon während der Pandemie gezeigt: Unterbrochene Lieferketten und damit fehlender Nachschub an Bauteilen aus China und anderen asiatischen Ländern legte beispielsweise sehr schnell die Automobilproduktion in Europa und Deutschland lahm.

Importe aus Russland auf Null

Die wichtigsten Herkunftsländer und -regionen sind die EU, die USA und China. Aus der EU und den USA beziehen 84 bzw. 83 Prozent der Unternehmen ihre digitalen Technologien oder Services. China folgt als Bezugsland auf Rang drei. Mit weitem Abstand folgen Japan und Taiwan mit 29 bzw. 28 Prozent. Das Vereinigte Königreich (UK) liegt mit 25 Prozent knapp dahinter. An Bedeutung gewinnt Indien, von wo inzwischen 15 Prozent der Unternehmen digitale Technologien oder Services beziehen.

Auch die Ukraine spielt für die deutschen Unternehmen als Lieferant digitaler Technologien oder Dienstleistungen eine große Rolle: Insgesamt jedes zehnte importiert von dort. Jedes zwanzigste Unternehmen (4 %) bezieht digitale Technologien und Services aus Israel. Kein einziges der befragten Unternehmen gibt hingegen Russland als Handelspartner an.

Digital-Exporte gehen vor allem in EU-Staaten

Was wäre wenn? Die Überlebensfähigkeit viele Unternehmen wäre ohne Digitalimporte sehr eingeschränkt.
Was wäre wenn? Die Überlebensfähigkeit viele Unternehmen wäre ohne Digitalimporte sehr eingeschränkt.
(Bild: Bitkom)

Ein gutes Drittel der deutschen Unternehmen (31 %) exportiert digitale Technologien bzw. Leistungen ins Ausland – zum überwiegenden Teil in die EU-Länder (96 %), aber auch in die USA (54 %), nach Japan (52 %), das Vereinigte Königreich (51 %), Indien (47 %) sowie China (43 %). Fast 3 von 10 Unternehmen (30 %) exportieren digitale Güter und Services nach Israel und 11 Prozent in die Ukraine. Die Exporte nach Russland sind hingegen faktisch zum Erliegen gekommen.

Auf den Exportlisten stehen Software (23 %) und digitale Dienstleistungen (23 %) wie die Programmierung von Apps oder IT-Beratung ganz oben. Etwas weniger sind es bei digitalen Bauteilen bzw. Hardware-Komponenten (15 %), digitalen Geräten und Maschinen (13 %) sowie Endgeräten (7 %) und Cybersicherheits-Anwendungen (4 %). 66 Prozent der deutschen Unternehmen verkaufen keinerlei digitale Technologien oder Services ins Ausland.

Auslandskontakte mit Risiken

Neben Preis und Leistung spielen Sicherheit und Vertrauen eine entscheidende Rolle bei der Wahl ausländischer Geschäftspartner im Zusammenhang mit digitalen Produkten und Dienstleistungen. Fast alle Unternehmen nennen die finanziellen Konditionen sowie das technische Know-how des Geschäftspartners als wichtiges Kriterium. Fast genauso wichtig sind Rechtssicherheit im Land des Geschäftspartners (97 %) bzw. die IT-Sicherheitsstandards des Partnerunternehmens (89 %). Das soziale oder ökologische Engagement des Geschäftspartners ist für 63 Prozent ein entscheidendes Kriterium.

Unternehmen versuchen vor allem durch Diversifizierung ihre Unabhängigkeit und digitale Souveränität zu stärken. So achten 61 Prozent bei ihren Lieferketten darauf, dass sie Komponenten und Leistungen aus verschiedenen Ländern bzw. Regionen beziehen. 58 Prozent haben aufgrund politischer Entwicklungen Geschäftsbeziehungen in bestimmte Länder bereits stark reduziert. Jedes zweite Unternehmen (53 %) muss eingestehen, Risiken hinsichtlich der Verlässlichkeit der Politik am Sitz ihrer Partner einzugehen. 39 Prozent sehen faktisch keine Abwehrmöglichkeit, sollten ausländische Partner oder Regierungen sie unter Druck setzen.

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Sorge vor Abhängigkeit von China

Das Vertrauen in die globalen Wirtschaftsräume fällt dabei unterschiedlich aus. Mehr als zwei Dritteln (69 %) macht die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China Sorgen – 38 Prozent sagen dies über die Abhängigkeit von den USA.

Die meisten Unternehmen importieren v.a. Endgeräte wie Smartphones oder Laptops. Dazu kommen noch digitale Bauteile bzw. Hardware-Komponenten wie z.B. Chips, Halbleiter oder Sensoren, zudem Software und Cybersicherheits-Anwendungen wie Firewalls. Geringer als gemeinhin angenommen ist die Abhängigkeit von Rohstoffen für IT-Hardware, etwa Metalle oder Seltene Erden.
Die meisten Unternehmen importieren v.a. Endgeräte wie Smartphones oder Laptops. Dazu kommen noch digitale Bauteile bzw. Hardware-Komponenten wie z.B. Chips, Halbleiter oder Sensoren, zudem Software und Cybersicherheits-Anwendungen wie Firewalls. Geringer als gemeinhin angenommen ist die Abhängigkeit von Rohstoffen für IT-Hardware, etwa Metalle oder Seltene Erden.
(Bild: Bitkom)

„In den vergangenen Jahren ist Deutschlands Abhängigkeit gewachsen. Diese Entwicklung müssen und können wir umkehren“, sagt Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst, der die Ergebnisse der Umfrage präsentierte und kommentierte. „Wenn wir jetzt gezielt digitale Schlüsseltechnologien fördern und Investitionen in die Digitalisierung hochfahren, können wir unsere digitale Souveränität und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands insgesamt stärken.“

Es besteht ein breiter, branchenübergreifender Konsens, dass Deutschland derartige Abhängigkeiten abbauen und die eigene digitale Souveränität viel stärker ausbauen müsse. 86 Prozent fordern mehr Investitionen insbesondere in Schlüsseltechnologien wie z.B. Künstliche Intelligenz.

Wintergerst sieht im Ausbau Deutschlands zu einem Hot Spot der Chip-Industrie einen wichtigen ersten Schritt: „Wir brauchen eine Trendwende und wir brauchen sie jetzt. Die Stärkung unserer digitalen Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit gehört in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode ganz oben auf die Agenda.“

Wie dringend das nötig ist, zeigt auch ein Blick in die Zukunft. Aktuell sehen 88 Prozent der Unternehmen Deutschland stark abhängig (39 %) bzw. eher abhängig (49 %) von digitalen Technologien und Leistungen aus dem Ausland. Nur eine Minderheit von 6 Prozent geht davon aus, dass sich diese Abhängigkeit in fünf Jahren verringert haben wird. Ein Drittel (36 %) rechnet mit einer Fortschreibung des Status-quo, jedes zweite Unternehmen (55 %) rechnet aber mit einer Zunahme der Abhängigkeit.

Ein „Mangelhaft“ für die Politik

Mit den aktuellen Bemühungen der Bundesregierung zur Steigerung der digitalen Souveränität Deutschlands sind die Unternehmen bislang wenig zufrieden und bewerten die entsprechenden Maßnahmen lediglich mit der Schulnote 5. Wintergerst: „Die Zahlen müssen für die Politik ein Weckruf sein. Die Stärkung unserer digitalen Souveränität wird über unsere künftige Wettbewerbs- und Widerstandsfähigkeit entscheiden. Im digitalen Raum muss Deutschland, muss Europa ein starker, selbstbewusster, digital souveräner Player werden.“

Sowohl die Bundesregierung als auch die EU müssten das Thema strategischer angehen, fordert der Bitkom-Präsident. Zwar gebe es im Koalitionsvertrag und der Digitalstrategie eine Fülle an Zielen und Einzelmaßnahmen – von der Aktivierung privaten Kapitals für die Start-up-Finanzierung bis zur Weiterentwicklung der Datenökonomie. Wie so oft in der Digitalpolitik fehle aber der gemeinsame, ressortübergreifende Ansatz.

Wintergerst weiter: „Zunächst ist die EU am Zug. Die EU hat in den letzten Jahren einen Regulierungs-Tsunami entfacht und das Korsett um die digitale Wirtschaft immer enger geschnürt, oft von Deutschland getrieben. Künftig muss es vornehmlich um die Frage gehen, wie die Bedingungen für hiesige Innovationstreiber gezielt verbessert werden können, so dass sie unsere digitale Souveränität als Wirtschaft und damit unsere Resilienz als Land stärken. Deutschland und Europa brauchen eine Agenda für digitale Souveränität.“

Zwar habe Deutschland die ersten beiden Digitalisierungswellen, die durch das Internet und das Smartphone getrieben waren, verpasst. „Mit KI, Quantum Computing und dem Industrial Metaverse hat Deutschland jetzt die Chance, wieder vorne mitzuspielen“, ist Wintergerst überzeugt.

Bitkom-Vorschläge für digitale Souveränität

Um in den kommenden Jahren die Digitalimporte zu reduzieren, müssen aus Bitkom-Sicht drei Bereiche besonders adressiert werden: Schaffung höherer Wettbewerbsfähigkeit, Stärkung von Schlüsseltechnologien und die Förderung von Anwendungsfeldern.

(Bildquelle: Bitkom)

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