Digitale Transformation Zeit für ein Open Source Ökosystem in der öffentlichen Verwaltung

Ein Gastbeitrag von Dr. Christian Knebel * 6 min Lesedauer

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Die digitale Transformation in deutschen Behörden hat in den letzten Jahren große Schritte getan. Doch natürlich ist die To-Do-Liste noch immer lang. Eine der wichtigsten Richtungsentscheidungen: Der Einsatz von Open Source, um die großen Baustellen anzugehen.

Open Source bringt entscheidende Vorteile bei der Verwaltungsdigitalisierung – etwa die Wahlfreiheit, Flexibilität, Nachnutzbarkeit und Transparenz
Open Source bringt entscheidende Vorteile bei der Verwaltungsdigitalisierung – etwa die Wahlfreiheit, Flexibilität, Nachnutzbarkeit und Transparenz
(Bild: Maximusdn – stock.adobe.com)

Die gute Nachricht zuerst: Deutschland ist digitaler als man denkt. Die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung hat in den letzten Jahren große Schritte nach vorn gemacht. Strukturen und Standards wurden geschaffen, Wege der Zusammenarbeit ausgehandelt und erprobt, zahlreiche Dienste sind in den Produktivbetrieb gegangen. Kfz-Anmeldung, Wohngeldantrag, Gewerbeanmeldung, Baugenehmigung und Melderegisterauskunft – diese zentralen Dienste lassen sich heute im Schnitt doppelt so oft digital erledigen als noch vor zwei Jahren. Das zeigt der Deutschland-Index des Kompetenzzentrums für Öffentliche IT. Insgesamt 127 OZGLeistungen sind inzwischen flächendeckend verfügbar. Zahlreiche weitere Dienste warten allerdings noch auf ihren bundesweiten Rollout.

Für Bürger und Bürgerinnen, Unternehmen sowie Verwaltungsmitarbeitende sind viele dieser Fortschritte noch nicht sichtbar. Zurecht erwarten sie mehr Tempo und vor allem spürbare Entlastungen durch nutzerzentrierte Angebote. Die To-Do-Liste der Digitalisierer in der Verwaltung und bei ihren Dienstleistern ist noch lang. In der Praxis zeigten sich vor allem beim „Einer für alle“-Prinzip, das eine schnelle Verbreitung digitaler Services ermöglichen sollte, hohe Hürden. Umso mehr müssen nun Verwaltung und Digitalisierungs-Spezialisten gemeinsam alles für schnelle, sichtbare Fortschritte tun. Die zentrale Frage: Wie kann es gelingen, mehr Tempo in die Digitalisierung der Verwaltung zu bringen und gleichzeitig aus den Erfahrungen des ersten OZG-Anlaufs zu lernen?

Wichtige Entscheidungen für eine zukunftsfähige Verwaltung

Die letzten Jahre haben gezeigt: Der Weg zum digitalen Deutschland ist gepflastert mit intensiven Diskussionen. Aber öffentlicher Diskurs ist kein Bremsklotz, sondern unverzichtbar. Denn es geht – bei allem Fokus auf mehr Tempo – um Entscheidungen von enormer Tragweite. Die Strukturen, die wir heute aufbauen, entscheiden darüber, ob und wie gut unsere Ämter und Verwaltungen für die Zukunft gerüstet sind.

Eine der wichtigsten Richtungsentscheidungen, die erforderlich ist: Ein klares Commitment von Politik und Verwaltungsentscheider:innen, bei den zentralen Bauteilen des digitalen Deutschlands konsequent auf Open Source zu setzen, die gerade in Konzeption oder Entwicklung sind – von Registern über OZG-Komponenten und Ende-zu-Ende digitalisierten Verfahren bis zur Verwaltungscloud.

Open Source Software kann den Knoten lösen

Open Source Software bringt entscheidende Vorteile mit sich und verhindert, dass wir über die gleichen Fallstricke stolpern, die die Umsetzung des OZG 1.0 gebremst haben:

Open Source sorgt für echte Nachnutzbarkeit – die Schwierigkeiten beim flächendeckenden Rollout von OZG-Lösungen zeigen, dass das EfA-Prinzip bei proprietärer Software oft an seine Grenzen stößt. Lizenzrechtliche Fallstricke, hohe Kosten, Abhängigkeiten bei SaaS-Angeboten und die Gefahr eine Monopolbildung bei privaten oder auch öffentlichen Anbietern verhindern die schnelle Übernahme von entwickelten Lösungen in weiteren Kommunen und Ländern. Open Source Lösungen verbleiben dagegen nicht beim Entwickler oder der auftraggebenden Behörde bis die Modalitäten der Nachnutzung ausgehandelt sind, sondern stehen nach dem Prinzip „Public Money – Public Code“ verbunden mit entsprechenden freien Lizenzen allen zur Verfügung. Sie können schnell und kostengünstig übernommen, erweitert und an neue Kontexte angepasst werden. Damit kommt Tempo in den Digitalisierungsprozess.

Open Source sorgt für Entscheidungsfreiheit – der Staat behält die Hoheit darüber, die besten Anbieter und Lösungen zu beauftragen, sie von den besten Experten und Expertinnen weiterentwickeln und im Support betreuen zu lassen und wenn nötig Komponenten auszutauschen oder Dienstleister zu wechseln.

Open Source fördert Interoperabilität – offene Software, Standards und Schnittstellen gehen Hand in Hand. Damit bewegen wir uns weg von inkompatiblen Insellösungen und hin zur vernetzten Verwaltung. So rückt die Vision eines modernen Staats näher, der den Bürgern und Bürgerinnen proaktiv seine Leistungen anbietet und Verwaltungsmitarbeitende spürbar entlastet. Und das, ohne dass alle Komponenten vom selben Anbieter stammen müssen.

Open Source fördert Transparenz – digitale Dienste bringen nur einen Mehrwert für Verwaltung und Gesellschaft, wenn sie auch breit genutzt werden. Datenschutz- und Sicherheitsbedenken halten immer noch zu viele Menschen davon ab, digitale Möglichkeiten zu nutzen. Transparent zu zeigen, was mit Daten passiert, schafft Vertrauen – wie ginge das besser als mit einem offenen Code, den Akteure der Zivilgesellschaft sowie alle Bürger und Bürgerinnen selbst prüfen können? Das trägt auch zur Sicherheit der Software bei: Mögliche Schwachstellen werden bereits im Entwicklungsprozess erkannt, da viele Entwickler weltweit gemeinsam den Code überprüfen und verbessern.

Erste Schritte auf dem Weg zu einem Open Source Ökosystem sind getan

All diese Vorteile sind kein Geheimnis. Auch Politik und Verwaltungen öffnen sich immer mehr für Open Source. Die Zahl der Fürsprecher, ein Open Source Ökosystem für die Verwaltungsdigitalisierung aufzubauen und zu fördern, steigt. Das zeigen nicht nur die Bekenntnisse zum Vorrang von Open Source im Ampel-Koalitionsvertrag oder im Entwurf zum OZG 2.0. Auch konkrete Schritte wurden unternommen – so ging die Plattform Open CoDE im April 2022 als zentrales Repository und Austauschplattform für Open Source Projekte der öffentlichen Verwaltung an den Start.

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Und damit sind wir bei der schlechten Nachricht: Immer noch halten sich hartnäckig Missverständnisse über Open Source Software. Die Lösungen seien aufgrund des offenen Quellcodes unsicher oder es fehle an Professionalität in Entwicklung und Support – dahinter verbirgt sich oft die falsche Vorstellung, Open Source sei gleichzusetzen mit kostenloser Software.

Zu den bestehenden Vorbehalten trägt auch das sogenannte Open Washing bei. Einige Anbieter nutzen den Begriff „Open Source“ als Buzzword, mit dem man sich schmücken kann, obwohl die eigenen Lösungen nicht wirklich quelloffen sind und man sie nicht im aktiven Austausch mit der Community entwickelt.

Kompetenz und Kultur stärken für ein kooperatives Ökosystem

Um gemeinsam das enorme Potenzial von Open Source für die Verwaltung zu heben, ist mehr als ein virtueller Ort wie Open CoDE erforderlich, an dem man sich technisch mit Open Source auseinandersetzt. Kompetenz und Kultur werden gebraucht.

Beide Seiten – Behörden und Dienstleister – brauchen Menschen, die über ein tiefes Verständnis von Open Source Technologien, ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer Grenzen verfügen. Ebenso wichtig ist ein geteiltes Bewusstsein dafür, dass Open Source mehr ist als Code und Technologien. Sie beruht nämlich auf einem gemeinsamen Grundverständnis und einer Kultur der offenen Zusammenarbeit. Wir müssen eine Basis gegenseitigen Verständnisses aufbauen – mit Menschen, die sich sowohl mit Arbeitsweisen und Kulturen von Behörden als auch mit der von Open Source Communities auskennen. Nur so kann voneinander gelernt und sich gegenseitig vorangebracht werden.

Die Gründung des Zentrums für digitale Souveränität (ZenDiS) ist ein wichtiger Schritt. Denn das Zentrum wird den Austausch zwischen Open Source Communities und staatlichen Akteuren verbessern und die Betreuung von Open CoDE übernehmen. Die Bundesregierung unterstreicht damit, dass sie es ernst meint mit ihrem Commitment zu Open Source und zur Community. Auch in den Ländern gibt es Rückenwind für Open Source: Mit seiner neuen Open Source Strategie hat sich beispielsweise Sachsen vorgenommen, Abhängigkeiten von proprietären Anbietern zu ermitteln und konkrete Pfade zu entwickeln, wie diese mit Open Source Lösungen verringert werden können. Gleichzeitig werden Entscheider und Entscheiderinnen gezielt für die Vorteile von Open Source sensibilisiert.

Es braucht mehr solcher Signale und konsequenter Entscheidungen für die Stärkung von Open Source, zum Beispiel im OZG 2.0, in den E-Government-Gesetzen der Länder, im Vergaberecht und in den Entscheidungen des IT-Planungsrats. Das Beispiel Sachsens muss Schule machen und weitergedacht werden: In Zukunft sollten alle Länder und der Bund klaren, konkreten und verbindlichen Fahrplänen zu mehr Open Source folgen. In die Erarbeitung solcher Strategien müssen die Stakeholder sowie Experten und Expertinnen aus der Verwaltung, von Digitalisierungs-Dienstleistern, Open-Source Communities, Wissenschaft und Zivilgesellschaft eingebunden werden – dann schlagen wir gemeinsam den richtigen Pfad ein.

Mit einer solchen fortlaufenden Stärkung von technologischer Kompetenz und gegenseitigem Verständnis für Open Source- und Verwaltungskultur kann es gelingen, ein neuartiges Ökosystem für die deutsche Verwaltung zu schaffen, das Technologien, Menschen und neue Formen der Zusammenarbeit verbindet. Nicht als Selbstzweck, sondern um dem großen Ziel, die öffentliche Verwaltung bürgernäher und zukunftsfähiger zu machen, schnellstmöglich näher zu kommen.

* Über den Autor
Dr. Christian Knebel ist CEO bei Publicplan.

Bildquelle: Publicplan

Dieser Beitrag stammt ursprünglich von unserem Schwesternportal eGovernment.de.

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