Wie grüne Technologie und zwei Dutzend Fernflüge zusammenhängen Nachhaltige Software beginnt nicht erst beim Coding

Ein Gastbeitrag von Anu Einberg * 5 min Lesedauer

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Nachhaltige Software-Entwicklung hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Manche Prozesse lohnen beispielsweise nicht einmal einer Digitalisierung – so wie manche Flugreise überflüssig scheint. Und das ist nicht die einzige Parallele zum Flugverkehr.

Wie so manche Flugreise sind auch einige Digitalisierungsprojekte überflüssig.
Wie so manche Flugreise sind auch einige Digitalisierungsprojekte überflüssig.

Es mag dem einen oder anderen paradox erscheinen, dass die Worte grün und Fernflug gemeinsam in einer Überschrift auftauchen. Und um ehrlich zu sein: Zwei Dutzend Langstreckenflüge haben im eigentlichen Sinne natürlich überhaupt nichts mit nachhaltiger Technologie zu tun – ganz im Gegenteil.

Doch beide Dinge sind über eine Statistik miteinander verbunden, die alarmierend und einprägsam zugleich ist. Der jährliche CO₂-Ausstoß einer durchschnittlichen Website entspricht etwa dem von 25 Flugreisen zwischen Amsterdam und New York – oder 3,7 Erdumrundungen und einer Distanz von fast 150.000 Flugkilometern.

Solche Zahlen verdeutlichen nur allzu gut, dass nachhaltig gestaltete Technologien schon heute unerlässlich und im Kampf um eine lebenswerte Zukunft von entscheidender Bedeutung sind. Doch welche Schritte braucht es, damit sie uns wirklich weiterhelfen?

Nachhaltigkeit – leichter gesagt als getan

Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der besonders in Verbindung mit dem Thema Klimawandel mit einer beinahe inflationären Häufigkeit verwendet wird. Doch ist wirklich immer klar, was mit diesem Wort gemeint ist? Nachhaltigkeit umfasst eine Vielzahl von Dimensionen. Die Entwicklung nachhaltiger Anwendungen muss daher verschiedene Facetten berücksichtigen. Es ist dementsprechend wichtig, den Anforderungen ökologischer, gesellschaftlicher sowie individueller Nachhaltigkeit gleichermaßen Rechnung zu tragen.

Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, stellt sich ganz zu Beginn eines jeden Entwicklungsprozesses erst einmal die Frage, ob sich die Digitalisierung eines Prozesses überhaupt lohnt. Zu evaluieren ist zum Beispiel, ob das zu lösende Problem über die nötige Relevanz verfügt und eine Digitalisierung für dessen Lösung signifikante Verbesserungen herbeiführen würde.

Ein positives Beispiel hierfür war und ist sicherlich das E-Invoicing, welches durch massive Einsparungen von Ressourcen auf allen Ebenen hervorsticht. Doch obwohl häufig angenommen wird, dass die digitale Transformation von Natur aus die Nachhaltigkeit fördert, ist dies nicht immer der Fall. Tatsächlich hinterlassen auch digitale Produkte ihren eigenen Fußabdruck auf der Erde.

Manchmal genügt bereits eine Optimierung bestehender Problemlösungsprozesse, um Abhilfe im Sinne der Nachhaltigkeit zu schaffen. Aus diesem Grund ist eine differenzierte Analyse aller zur Verfügung stehenden Optionen unabdingbar. Nur so kann sichergestellt werden, die effektivste aller Alternativen zu identifizieren und überstürzten Aktionismus zu vermeiden.

Digitalisierung soll den Menschen helfen

Das Lösen eines Problems durch die Digitalisierung eines Prozesses ist kein Selbstzweck. Eine Lösung, die nichts weiter tut, als einen vorhandenen Prozess in eine digitale Form umzuwandeln, ist wertlos. Es muss einen Mehrwert geben. Dieser kann sich zum Beispiel in Kosten-, Zeit- und Personalersparnis oder besserer Zugänglichkeit zu der Dienstleistung für die Menschen widerspiegeln.

Wurde nach gründlicher Abwägung die Entscheidung getroffen, eine Anwendung für die Problemlösung zu entwickeln, kommt es zum Entwurf erster Ideen, wie diese konkret aussehen könnte. In diesem Schritt ist ein besonderes Augenmerk auf die einzelnen Teilaspekte der gesellschaftlichen wie individuellen Nachhaltigkeit zu richten.

Eine Gesellschaft kann nur von einer Anwendung profitieren, wenn sie einen Sinn stiftet. Sie muss Verbindungen zwischen den Menschen schaffen, anstatt diese zu trennen. Im Zuge des Strebens nach Nachhaltigkeit innerhalb der Gesellschaft muss die Technologie einen Beitrag leisten, dass Diskriminierung und Ungleichheit überwunden werden. Dies geschieht unter anderem, indem sich der positive Effekt einer Anwendung nicht auf die eigentlichen Benutzerinnen und Benutzer selbst beschränkt.

Auf der Ebene der individuellen Nachhaltigkeit ist es von Belang, dass die Technologie die Anwender und Anwenderinnen dabei unterstützt, sich auf die Aufgabe zu konzentrieren, anstatt deren Fokus zu spalten und zu versuchen, sie so lange wie möglich in der Anwendung zu halten. Das Ziel, extreme Emotionen durch App-Interaktionen zu erzeugen, ist kontraproduktiv.

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Anstatt die Kreativität der User zu unterbinden, sollten wir diese dazu anregen, den Prozess positiv zu beeinflussen. Um überprüfen zu können, ob alle gesteckten Ziele auf dem Weg zu mehr gesellschaftlicher und individueller Nachhaltigkeit erreicht wurden, erweisen sich verschiedene Tools der Evaluation dienlich.

Envisioning-Karten – ein spezifisches Tool, das von den Autoren des Value Sensitive Design entwickelt wurde – und Stakeholder-Mapping helfen, sich den Auswirkungen, welche über jene, die eine Technologie auf die direkten User, hinausgehen, bewusst zu werden. Mittels eines Leitfadens für humanes Design lässt sich beurteilen, inwieweit das Design einer Anwendung Menschen als humane Wesen behindert oder unterstützt.

Damit es auch morgen noch weitergeht

Die Assoziationen der meisten Menschen mit dem Begriff Nachhaltigkeit beziehen sich auf die Auswirkungen unseres Handelns auf die Umwelt. Um der ökologischen Nachhaltigkeit zuträglich zu sein, braucht eine Anwendung ein Design, das lediglich minimale CO₂-Emissionen erlaubt. Dafür ist es wichtig, zu beachten, dass jene Elemente, welche die meiste Energie verbrauchen, möglichst selten genutzt werden. So können zum Beispiel die verwendeten Farben den CO₂-Ausstoß beeinflussen.

Cloud-Lösungen sind mittlerweile unverzichtbar. Doch verbrauchen die Server in den Rechenzentren große Mengen Energie. Dennoch bestehen Möglichkeiten, auch auf diesen Plattformen auf ökologische Nachhaltigkeit zu achten. Cloud-Anbieter wie AWS, GCP oder MS werden mit grüner Energie betrieben und Google bietet eine Carbon Sense Suite. Dieses Toolset hilft dabei, den eigenen CO₂-Fußabdruck innerhalb der Cloud genau zu ermitteln.

Bei der Programmierung einer Anwendung sind nachhaltige Code-Prinzipien zu befolgen, um Anwendungen ganz im Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit entwickeln zu können. Für die maximale Effizienz muss der Ressourcenverbrauch auf ein Minimum reduziert werden. Bereits die Auswahl der verwendeten Programmiersprache kann hierfür einen wichtigen Beitrag leisten.

Darüber hinaus unterstützt die Anwendung von Clean-Code-Prinzipien – und das Schreiben von sauberem und verständlichem Code, der sich energiesparend warten lässt – das Bestreben nach Nachhaltigkeit. Ist ein Code nicht skalierbar, führt dies zu einem erhöhten Ressourcenbedarf. Es erscheint beinahe überflüssig, zu erwähnen, dass der CO₂-Ausstoß der Anwendung kontinuierlich überwacht werden muss – genauso wie ein Flugzeug auf dem Weg von Amsterdam nach New York.

Fazit

Der Begriff Nachhaltigkeit umfasst weit mehr als nur den Schutz unserer Umwelt. Es ist nötig, ihn auf die Dimensionen der gesellschaftlichen wie individuellen Nachhaltigkeit auszuweiten. Alle Komponenten sind während des Entwicklungsprozesses gleichermaßen zu berücksichtigen. Bevor dieser startet, ist genauestens zu analysieren, ob eine digitalisierte Problemlösung wirklich nötig ist und deutliche Verbesserungen mit sich bringt.

Um die ganzheitlichen Anforderungen an Nachhaltigkeit zu erfüllen, muss eine Anwendung einen Nutzen stiften, der sich nicht nur auf die direkten Nutzer und Nutzerinnen beschränkt, sondern die Gesellschaft zusammenbringt. Damit diese auch in Zukunft noch auf unserem Planeten als diese fortbestehen kann, müssen bei der Umsetzung der Entwicklung alle technischen Möglichkeiten, die einen minimierten Ressourcenverbrauch herbeiführen, ausgeschöpft werden.

* Anu Einberg ist die CEO des Software Development Unternehmens Mooncascade. Mittlerweile arbeitet sie seit neun Jahren bei Mooncascade. Seit über vier Jahren leitet sie das Unternehmen als CEO und hat währenddessen schon viele Erfahrungen gesammelt, was es bedeutet, ein weiblicher CEO in der Tech-Branche zu sein. Ihr Bildungshintergrund liegt in den kognitiven Neurowissenschaften. Während ihrer akademischen Studien begann sie, die Funktionsweise der menschlichen Kognition zu erforschen. Ihre Branchenerfahrung in der Softwareentwicklung führte dazu, dass sie untersuchte, wie man intuitive und menschenzentrierte Technologien entwickelt. Als Geschäftsführerin eines Technologieunternehmens diskutiert sie leidenschaftlich gern über die Zukunft der Technologie.

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