Kommentar von Jan Meyer, SAP Wie IT-Profis von generativer KI profitieren können

Ein Gastkommentar von Jan Meyer 6 min Lesedauer

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Generative KI-Lösungen wie ChatGPT werden die Arbeitsweise von Entwicklern, IT-Experten und Datenspezialisten verändern. Bereits heute zeichnet sich ab, dass diese Fachleute dank Künstlicher Intelligenz (KI) produktiver arbeiten und ihr Stressniveau reduzieren können.

Der Autor: Jan Meyer ist SVP, Global Head of Learning Systems, SAP
Der Autor: Jan Meyer ist SVP, Global Head of Learning Systems, SAP
(Bild: SAP)

Auch für die Unternehmen selbst kann sich der Einsatz von KI auszahlen: So schätzt das Beratungshaus McKinsey in einer Analyse vom Juni 2023, dass allein der Einsatz von generativen KI-Lösungen einen wirtschaftlichen Mehrwert von 2,6 bis 4,4 Billionen US-Dollar pro Jahr bringen kann. Damit das funktioniert, müssen Unternehmen allerdings den Mitarbeitern die Möglichkeit geben, ihre Fähigkeiten im Bereich KI weiterzuentwickeln.

KI entlastet Entwickler und Citizen Developer

KI-basierte Prozesse und Applikationen können dabei helfen, Abläufe zu automatisieren und Entwickler-Teams zu entlasten. Besonders für Softwareentwickler und technisch interessierte „Laien“, die sogenannten Citizen Developer, ist das interessant. Denn die Verknüpfung von generativen KI-Lösungen wie ChatGPT, Google Bard, GitHub Copilot und Alphacode mit Low-Code- und No-Code-Tools, für die keine oder nur wenige Programmierkenntnisse nötig sind, eröffnet auch Citizen Developern die Möglichkeit, schnell passende Applikationen zu erstellen und Workflows im Arbeitsalltag zu automatisieren.

Bei Low-Code-Plattformen können Nutzer Steuerelemente mittels Drag-and-drop miteinander kombinieren. Tief greifende Kenntnisse von Programmiersprachen sind nicht erforderlich. Generative KI-Lösungen können Entwickler und Citizen Developer gleichermaßen dabei unterstützen, solche Anwendungen und Prozesse schneller und präziser zu erstellen, sie auf Fehler zu überprüfen und auf spezielle Anforderungen im Arbeitsalltag zuzuschneiden.

Mehr Freiraum für anspruchsvolle und kreative Aufgaben

Doch generative KI erlaubt es Unternehmen und Softwarespezialisten nicht nur, intelligentere Anwendungen zu entwickeln. Sie erhöht nachweislich die Produktivität von Entwicklern.

Das belegt eine Studie von McKinsey: Ihr zufolge zahlt sich der Einsatz von solchen Lösungen vor allem bei weniger komplexen Tätigkeiten aus. Die Zeit für das Erstellen einer Dokumentation von Code reduziert sich beispielsweise um bis zu 50 Prozent, und das Generieren von Code läuft 35 bis 45 Prozent schneller ab. Generative KI-Tools verschaffen somit Software-Spezialisten mehr Freiraum für anspruchsvollere und kreativere Aufgaben, die ihnen möglicherweise auch mehr Spaß als Routinetätigkeiten machen.

Dagegen ergab sich bei komplexeren Tätigkeiten nur eine Zeitersparnis von weniger als zehn Prozent. Zu diesen Aufgaben zählte das Überprüfen von Programmcode auf Fehler und Bugs. Eine hohe Komplexität ist auch dann gegeben, wenn beispielsweise spezielle Kenntnisse über die Aufgabenstellung erforderlich sind oder Anwender besondere Anforderungen stellen. Diese können sich auf Faktoren wie Security, Compliance und Datenschutz beziehen, aber auch die Performance von Anwendungen. An Grenzen stoßen generative KI-Tools zudem, wenn Frameworks mit unterschiedlicher Code-Logik zum Einsatz kommen.

Mitarbeiter brauchen KI-Spielplatz

Entwickler, Mitarbeiter in den Fachbereichen, aber auch CIOs und Business-Entscheider müssen lernen, das Potenzial von generativer KI richtig einzuschätzen. Das erfordert jedoch neue Fähigkeiten auf mehreren Ebenen.

So sollten alle Mitarbeiter, nicht nur Entwickler, Gelegenheit haben, sich mit generativen KI-Lösungen vertraut zu machen. Das kann mithilfe von abgesicherten Lernumgebungen erfolgen. SAP hat beispielsweise für seine Mitarbeiter „Sandboxes“ für ChatGPT eingerichtet. Sie ermöglichen es Usern, diese Technologie auszuprobieren. Dadurch können sie erproben, ob beziehungsweise wie sie generative KI-Lösungen in ihrem Tätigkeitsbereich nutzbringend einsetzen können.

Schulungen in den Arbeitsalltag integrieren

Damit Fachleute jedoch eine solche Bewertung vornehmen können, benötigen sie grundlegende Kenntnisse in den Bereichen Softwareentwicklung und KI. Das gilt auch für Fachbereichsspezialisten und Citizen Developer. Sie sollten beispielsweise wissen, welche Anwendungen und Daten in einer Cloud gehostet werden und welche Maßnahmen in Bezug auf Sicherheit und Compliance dabei zu berücksichtigen sind. Wichtig ist außerdem, dass die Mitarbeiter aus den Bereichen sich mit den grundlegenden Konzepten von Künstlicher Intelligenz auseinandersetzen können.

Das erfordert ein ausgereiftes Schulungskonzept, das sich nahtlos in den Arbeitsalltag der Mitarbeiter integriert. Mitarbeiter aus allen Sparten sollen in der Lage sein, nutzbringende Einsatzfelder für generative KI in ihrer Organisation zu identifizieren und in ihren Teams innovative Lösungen auf Basis dieser Technologie zu entwickeln.

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Die Grenzen von generativer KI erkennen

Ebenso wichtig ist jedoch, den Nutzern die Grenzen der Technologie bewusst zu machen. In der Praxis hat sich bereits gezeigt, dass ChatGPT und vergleichbare Lösungen in einigen Fällen nicht belastbare und schlichtweg falsche Informationen nutzten. Das war beispielsweise bei einem Antrag geschehen, den ein US-Anwalt vor Gericht eingereicht hatte. Er enthielt Hinweise auf Präzedenzurteile, welche die Software frei erfunden hatte.

Die Qualität der Ergebnisse, die generative KI liefert, hängt außerdem stark von der Qualität und Präzision der Fragestellung des Nutzers ab. Essenziell ist zudem, dass für das Training der Modelle der generativen KI-Software aktuelle Informationen genutzt werden. Nutzer sollten daher im Rahmen von Schulungen lernen, die zielführendsten Prompts (Eingabeaufforderungen) zu formulieren. Nur dann liefern ChatGPT und vergleichbare Lösungen valide Antworten.

Ergebnisse verifizieren und Risiken minimieren

Zudem müssen User in der Lage sein, die Ergebnisse kritisch zu hinterfragen, sprich, zu verifizieren. Das heißt, Nutzer sollten Fehler und Inkonsistenzen erkennen können sowie in der Lage sein, missverständliche Informationen und Vorurteile (Bias) zu identifizieren. Das gilt auch für weitere potenzielle Risiken, etwa durch Verzerrungen des Outputs von generativen KI-Lösungen, den Missbrauch von KI-Modellen und die Tatsache, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für geistiges Eigentum und Urheberrecht für generative KI noch nicht fixiert wurden.

Software-Spezialisten müssen zudem Probleme einschätzen können, die sich bei generativer KI durch unklare Anweisungen oder Prompts ergeben. Statistische Verzerrungen der Trainingsdaten können außerdem dazu führen dazu, dass die Antworten in einigen Fällen veraltete Informationen enthalten. Solche Risiken lassen sich mithilfe eines Rahmenwerks für KI-Governance minimieren. Software-Unternehmen wie SAP verfügen bereits über solche Frameworks.

Speziell Entwickler benötigen außerdem detaillierte Kenntnisse über große Sprachmodelle (Large Language Models, LLM) sowie deren Anwendungsfelder und Architektur. Das ist die Voraussetzung dafür, um das Einsatzpotenzial und die Anwendungsbereiche von generativer KI richtig bewerten zu können, inklusive der potenziellen Risiken, die mit diesem Ansatz verbunden ist.

Ohne „menschliche“ Skills geht es nicht

Ob generative KI den erhofften Nutzen bringt, hängt allerdings nicht nur von LLMs, Prompts und dem Fachwissen von Entwicklern und Anwendern ab. Gefragt sind zudem Eigenschaften wie Kreativität, Kommunikationsfähigkeiten, emotionale Intelligenz und die Fähigkeit, Probleme zu erkennen und zu lösen.

So müssen beispielsweise Entwickler und die Mitarbeiter in den Fachbereichen eng zusammenarbeiten, um Einsatzfelder für KI zu identifizieren, die damit verbundene Prozesse zu adaptieren und neue Anwendungsbereiche zu identifizieren. Das erfordert eine offene, zielgerichtete Kommunikation. Dabei sind nicht nur technische und funktionale Aspekte zu berücksichtigen, sondern auch Faktoren wie der Wissensstand der Nutzer der KI-Software sowie mögliche Vorbehalte gegenüber solchen Anwendungen – Stichwort „Angst um den Arbeitsplatz“.

Ein weiteres Beispiel für „menschliche“ Skills ist das Lösen von Aufgaben und Problemen. Generative KI kann Mitarbeiter dabei unterstützen. Aber die eigentlichen Aufgaben, wie die Analyse von Fragestellungen und das Erarbeiten von potenziellen Lösungen, bleiben Menschen vorbehalten. Dies gilt auch für Aufgaben wie das kritische Hinterfragen von Prozessen und Strukturen, Kundenanforderungen adäquat zu erfassen und Lösungsansätze auf die Unternehmenskultur abzustimmen.

Eine der größten Herausforderungen besteht somit darin, die richtige Balance zwischen Mensch und KI zu finden. Auch das sollten Aus- und Weiterbildungskonzepte berücksichtigen.

Fazit

Generative KI-Lösungen ändern die Art und Weise, wie Mitarbeiter Software entwickeln und nutzen. Dieser Prozess hat bereits begonnen. Umso wichtiger ist es also für die Nutzer solcher Lösungen, das Potenzial dieser Technologien auszuloten.

Das Argument, dass der Einsatz von Künstlicher Intelligenz, speziell generativer KI, zu einen massiven Verlust von Arbeitsplätzen führen wird, ist dagegen nicht haltbar. Das gilt auch für den Bereich Softwareentwicklung. Vielmehr wird generative KI die Rolle eines Hilfsmittels übernehmen, etwa beim Test von Code und dem Erstellen von Dokumentationen. Doch je komplexer eine Aufgabe ist, desto stärker wird der menschliche Genius gefragt sein. Das gilt auch für die Experten in den Fachbereichen, die generative KI einsetzen. Wenn KI-Anwendungen Routineaufgaben übernehmen, bleibt mehr Zeit für kreative und innovative Tätigkeiten.

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